Das dunkle Rad Titel Eine Ebene Zurück Home Das dunkle Rad Kapitel 2
ELITE
Das Dunkle Rad

Robert Holdstock


KAPITEL 1

In dem Augenblick, als das Handelsschiff Avalonia seinen Landeplatz in der
Orbitalstation über dem Planeten Lave verließ und auf die Hyperraum-
Startrampe zusteuerte, war seine meßbare Lebenserwartung und die eines
seiner beiden Besatzungsmitglieder noch exakt achtzehn Minuten.
   Die Weltraumstation verschwand allmählich im Dämmerlicht, und das
kleine Raumschiff vom Reptilien- Typ erzitterte unter der Wucht seiner
Motoren, die es in die Richtung des Hyperdistanz-Sprungs drehten. Unter
ihnen rotierte der Planet Lave in all seiner blau-grün schillernden Pracht.
Über das Paluberion Meer fegten wütende Stürme, sechs riesige Wirbel
rosaroter und weißer Wolkengebilde, die in Richtung der kontinentalen
Landmassen von FirstFall zogen -Vorboten einiger trüber und nasser Tage
in den Wäldern and den tief eingefurchten Tälern, die sich durch die zerklüf-
tete Landschaft schlängelten. Glitzernden Glasscherben gleich funkelten da
unten die städtischen Agglomerationen der Menschen und der Lavianiten.
   Alex Ryder sah vom Sitz der Steuerkonsole hinunter auf die üppige Welt.
Er stieß einen hörbaren Seufzer des Bedauerns aus, weil er sie nicht selbst
hatte besuchen dürfen. Neben ihm saß grinsend sein Vater und bediente
fachmännisch die Tasten des ManOp-Computers. Jason Ryder kannte den
Frust, so reiche und märchenhafte Welten wie Lave nur vom Orbit aus
beobachten zu dürfen. Er selbst war ein einziges Mal auf dem Planeten
gewesen, ein unvergeßliches Erlebnis. ...! Aber die Gesetze der Intergalak-
tischen Vereinigung Bewohnter Welten waren streng -und vernünftig...
Lave, wie jeder andere bewohnte Planet, war kein Urlaubsort oder ein Re-
servat für Schaulustige. Es war eine lebendige, sich entwickelnde Welt, die
für ihre Bevölkerung genau das war, was die alte Mutter Erde früher einmal
für die menschliche Rasse bedeutet hatte: Zuflucht. Mutter. Heimat.
   Ein anderes Mal, ein anderes Jahr, dachte Alex. Man mußte sich seinen
Besuch auf Lave verdienen, und er hatte sein Berufsleben ja gerade erst be-
gonnen. Er hatte noch eine Menge zu lernen.
   Die Ryders waren seit vier Generationen Kaufleute. Begonnen hatte alles
mit Ben Ryder, der seine Handelsfahrten fast ausschließlich mit abgeschos-
senen Piratenschiffen unternommen hatte. Ben lebte auf des Messers
Schneide, und eines Tages, eines Nachts, in irgendeinem Sternenjahr, war
er nicht zurückgekehrt. Sein Grab lag draußen im leeren Raum zwischen
den Sternen, entlegen und einsam, und höchstwahrscheinlich würde man
es nie finden. Sein Sohn und sein Enkel -Jason -hatten das Familienun-
ternehmen weitergeführt. Alex mußte demnächst eine endgültige Ent-
scheidung treffen: entweder sein Leben lang mit Schiffsladungen zwischen
den Welten der Intergalaktischen Vereinigung zu pendeln oder irgendeinen
anderen Beruf zu erlernen.
Um es geradeheraus zu sagen: Interstellarer Handel ist kein Kinderspiel
für Grünschnäbel, die schnell ein Vermögen machen wollen. Man kann sein
ganzes Leben lang Nahrungsmittel, Maschinen und Textilien hin und her
transportieren, und am Ende hat man gerade genug zusammengespart, um
ein Küstengrundstückchen auf einem erdähnlichen Planeten kaufen zu kön-
nen, wo man dann in angenehmer Zurückgezogenheit den Rest seiner Tage
verbringt.
   Mehr schaut dabei nicht heraus.
   Ein Leben voll Schweiß und Kampf für eine Weltraumfähre, ein eigenes
Heim und das klare Blau der See eines fremden Planeten vor der Haustür.
Wer Ambitionen hat, kann es auch weiterbringen, etwa durch den Kauf und
Verkauf von Drogen, Sklaven, exotischen Tieren, Waffen, politischen
Flüchtlingen... Wer mit solchen Gütern spekuliert, der hat keine Geld-
sorgen.
   Aber dafür sind ihm die Freibeuter auf den Fersen...
   Und die Polizei.
   Die Strapazen jahrelangen ehrlichen Handeins hatten sichtbare Spuren
bei Jason Ryder hinterlassen, aber er hatte sein Geld klug angelegt, und
dieses kleine luxuriöse Frachtschiff war sein ganzer Stolz und seine ganze
Freude. Er konnte die normalen Kauffahrerrouten eine Zeitlang verlassen
(obwohl er immer den Handelsgrundsatz respektierte, daß ein leerer
Laderaum eine leeren Geldbeutel bedeutet, und er deshalb niemals ohne
Fracht reiste; im Moment hatte er Trumbeeren-Saft geladen, eine exotische
Würze. Er konnte seinem Sohn zeigen, wie der Weltraum wirklich war, und
so dem Bürschchen Appetit machen... oder ihm vorführen, daß das Leben
im völlig leeren Raum eins der schwierigsten überhaupt war.
   Alex Ryder seinerseits mußte davon noch überzeugt werden. Er war ein
großer, blonder junger Mann, drahtig und athletisch. Er war Meister im
Atmo-Surfen auf Ontiat, dem Heimatplaneten der Ryders, und außerdem
sehr intelligent. Wie alle jungen Männer seines Alters sträubte er sich, sein
Studentendasein mit dem eines Berufstätigen zu vertauschen, mit allem,
was das mit sich brachte, wie etwa die Notwendigkeit, sich für ein einziges
Mädchen zu entscheiden, für eine Karriere, und zu planen beginnen, für die
Zeit, wo er schließlich sein eigenes Stück Land kaufen würde.
   Ein Jahr hatte er noch Zeit für seine Entscheidung, ein Jahr Surfen,
Freifall-Baseball, Wolken-Grill-Parties, Hi-Flug, Partner-Wahl und
Simulations-Zweikampf.
   Er hatte keine Eile.
   Außerdem liebte er den Weltraum, liebte das Glitzern der Sonne auf dem
Duralium-Rumpf des Raumschiffs, das Getümmel und den Wirrwarr in den
Weltraum-Häfen, liebte es, sich in Phantasien über andere Welten zu
ergehen, über Forschungs- und Entdeckungsfahrten ins Unbekannte.
   Die Stimme von SysKon, das den Verkehrsfluß in Laves Orbit kontrol-
lierte, murmelte sanft: 'Avalonia, machen Sie einen Vier-Minuten Umweg
zur Hyperspace-Startrampe.'
   'Verstanden', sagte Alex und regulierte die automatische Steuerung ent-
sprechend. Sein Vater, im Augenblick nicht beschäftigt, lehnte sich zurück
und lächelte.
   SysKon meldete: 'Benutzen Sie die Rampen-Einfahrt 27, Ost 45.'
   'Verstanden', sagte Alex, und sein Vater drehte das Schiff um seine
Mittelachse, bereit für den gefährlichen Hyperraum- Transit.
   Alles war unter Kontrolle.
   Auf dem rückwärtigen Monitor, auf dem der Planet sich prächtig glän-
zend langsam durchs Firmament bewegte, kam eine dunkler Schatten in
Sicht: ein anderes Raumschiff, das sich ebenfalls zur Startrampe einreihte.
   Das war ganz normal. Alex nahm davon keine Notiz, er konzentrierte sich
ganz auf die bevorstehende Durchquerung des Hyperraums. Sein Vater
blickte einen Augenblick lang puffend nach dem anderen Schiff, dann ent-
spannte er sich.
   Er konnte nicht wissen, daß er nur noch vierzehn Minuten zu leben hatte.
Ein Hyperspace-Sprung in so einem komplizierten und überfüllten Sy-
stem wie Lave ist keine einfache Angelegenheit. Hunderte von Augen
achten darauf, daß einem auch nicht der kleinste Fehler unterläuft. Mach'
etwas falsch -- und wenn Du das nächste Mal an einer der Coriolis-
Stationen dieses Planeten anlegen willst, blitzt ein riesiges UN-
ERWUNSCHT! im luftleeren Raum vor Deiner Schiffsnase auf.
   Du gleitest nach den Anweisungen der Stations-Kontrolle aus dem Liege-
platz. Etwa zwanzig Raumschiffe tun das gleiche. Du gehst auf Sicherheit.
Du drehst Dich, beschleunigst, verlangsamst und trudelst, zeitlich und rich-
tungsmäßig, genau in der richtigen Sekunde. Auf diese Weise gelingt es
Dir, keinen 2000 Tonnen schweren Duralium-Frachter in Deinen
Hyperraum-Jet gerammt zu bekommen.
   Das ist noch nicht alles!
   Nun wirst Du von der OB-der Orbit-Behörde überwacht; die treiben
Dich sicher zwischen die Kauffahrer, und die Yachten, und die Raumfähren
und die Pendler und die Linienschiffe und die pfeilförmigen Patrouillen-
boote der Polizei. All diese Raumschiffe gleiten und schlittern um Dich
herum, Silberstreifen in der Dunkelheit, aufblinkende grüne und blaue
Lichter, plötzliche graue Metallwände mit gelben Warnleuchten, die Deine
Bahnen kreuzen.
   Du bewegst Dich durch dieses Chaos, und dann fordert eine neue Stimme
Deine Aufmerksamkeit. Jetzt wirst Du von der Hyperraum-Navigations-
System-Kontrolle-HNSK oder SysKon-für den großen Sprung vor-
bereitet. Du wirst, sagen wir mal, sieben Lichtjahre in ein paar Minuten
zurücklegen, und Du denkst vielleicht, das sei eine ganze Menge Weltraum,
wo man drin verloren gehen könne-aber so ist das nicht. Der Hyperraum
ist ein Tunnel wie jeder andere Tunnel auch. In dem Tunnel gibt es den
"Magischen Bereich", einen geheimnisvollen Ort, an dem die normalen
Naturgesetze des Universums nicht zu gelten scheinen. Und alle par
tausend Parsec im magischen Tunnel sind Überwachungs-Satelliten und
Abzweigungen und Haltestellen und Rettungsstationen und vielleicht hun-
dert Seitentunnels, hundert Raumschifflinien, jedge geschützt gegen die
zwei großen Gefahren des Hyperraumreisens: atomare Reorganisation und
zeitliche Verschiebung.
   Spring' einmal ohne fremde Hilfe auch nur eine halbes Lichtjahr weit
durch den Hyperraum und Du kannst von Glück sagen, wenn Du noch im
selben Universum bist, ganz zu schweigen vom richtigen Bestimmungsort.
   Es kann passieren, daß Dein Schiff zwar weiterfliegt, Du selbst jedoch als
gallertartige Masse aus gebrochenen Knochen und Heisch in der Kabine
liegst.
   Wenn man der Legende Glauben schenken will, soll es auch geschehen,
daß man gerade noch einmal mit dem Schrecken davonkommt und schon
aufatmet, nur um beim Eintritt in die Erdumlaufbahn von einer riesigen
Echse mit gefletschten Zähnen, einem langen Schwanz und grünen Schup-
pen empfangen zu werden, die einem am Betreten ihres hübschen Fleckens
prähistorischer Jura-Wüste hindert.
Deshalb war Alex an diesem verhängnisvollen Tag ganz froh darüber, daß
die Robot-Stimme von SysKon das Schiff 4er Ryders durch die Raum-
bahnen zur Sprungrampe nach Leesti geleitete. Er entspannte sich und
beobachtete, neben seinem Vater sitzend, das Treiben im Hafen.
   Der Schatten hinter ihnen, das Schiff, das ihnen zur Startrampe folgte,
war ein Frachter der Kobra-Klasse.
   Niemand wußte mehr, warum oder wann Raumschiffe nach Schlangen
benannt wurden. Das Schiff der Ryders war eine verhältnismäßig harmlose
'Schlange', fähig gerade zu zwei Hyperdistanz-Sprüngen und bestückt aus-
schließlich mit einer Grundausstattung an Waffen, geeignet wirklich nur
zur Abwehr drohender Gefahren wie Asteroiden, Meteoriten oder 'verrück-
ten Kisten'-der Name für außer Kontrolle geratene oder von abenteuerlu-
stigen Jugendlichen gesteuerte Schiffe.
  Die Kobra war ein sehr viel größeres Raumfahrzeug.
   Als weitverbreitete Handelsschiffe sind die meisten Kobras mit un-
mengen von Angriffs- und Verteidigungswaffen ausgestattet, hinter denen
sich ihre hartgesottenen und großmäuligen Kommandanten verschanzen.
Und das mit gutem Grund...
   Das Händlerdasein ist vor allem durch zwei Dinge charakterisieret:
Gefahr und Risiko. Gefährlich deshalb, weil man, um als Kauffahrer zu
überleben, seine Waffen beherrschen muß und wissen, wie man sie im
Ernstfall einsetzt; Du mußt einen Piraten als solchen erkennen, oder einen
Anarchisten oder einen Eindringling von Thargo-oder eine Polizeifalle,
wenn Du zufällig eine der tausend verbotenen Waren an Bord hast.
   Und risikoreich ist es aus demselben Grund. Eine fette Kobra, schwerbe-
laden mit Mineralien, seltenen Textilien oder Fellen oder kostbarem Metall,
ist für einen Freibeuter ein gefundenes Fressen wie kaum etwas anderes in
der Galaxis.
   Ein Händler zu sein heißt, zuerst schießen und dann beten, daß man die
Warnlichter auch richtig gedeutet hat, und daß das Opfer tatsächlich ein
Pirat war.
   Mach' einen Fehler und nicht einmal zwei Außenwände aus zeit-
reisenerprobtem Duralium und ein Schiffsbauch voller ferngelenkter Ge-
schosse kann Dich vor den Vipern retten.
   Vipern! Das sind Polizei-Schiffe. Klein, schnell, tödlich. Und meist nicht
abzuschütteln. Der Pilot ist natürlich ein Mensch, aber tötest Du den
Piloten, wird das Schiff Dich weiter verfolgen. Zerstöre das Schiff und seine
Geschosse werden auf Deiner Spur bleiben. Zerstöre die Geschosse, dann
gibt acht auf die Schatten!
   Wenn eine Viper sich in etwas verbissen hat, dann bleibt sie dran.
   Noch elf Minuten.
   'So etwas wie da draußen bekommst Du nicht oft zu sehen...'
   Die Worte seines Vaters durchbrachen die stille Konzentration, mit der
Alex den Planeten betrachtete, den sie gerade verlassen wollten. Rechts, auf
einem Parallel-Kurs die Hypersprung-Rampe ansteuernd, glitt ein seltsam
gebautes Raumfahrzeug mit mächtigen, blinkenden Lichtem dahin. Es lag
im Sonnenlicht, und Alex konnte sehen, wie es sich langsam um seine Mit-
telachse drehte. Fischflossenartige Gebilde bewegten sich, und über dem
glatten Rumpf kräuselte sich ein Muster farbiger Lichter.
  Eine Muräne! Ein Unterwasserfahrzeug, geeignet sowohl für Weltraum als
auch für Tauchfahrten. Muränen sah man kaum einmal im Raum, erst recht
nicht bei einem Hyperspace- Transit. Auf Planeten wie Regiti und Aona, wo
es kein Land gab, außer ein paar Vulkanspitzen, waren die Muränen Frach-
ter und Passagierschiffe zugleich, eine lebenswichtige Verbindung zwi-
schen den Untersee-Städten, die sich in dieser lebensfeindlichen Umge-
bung entwickelt hatten.
   Das wilde Flackern der Farbsignale der Muränen verebbte. Alex bemerkte,
daß sein Vater das animalische Schauspiel mit finsterer Miene und einem
Stirnrunzeln betrachtete. Der optische Code war eine Imitation der Kommu-
nikationssignale eines Unterwassertieres der Erde, des Kraken.
   'Ist was los damit?'
   Jason zuckte die Schultern. 'Ich bin nicht sicher. Wahrscheinlich nicht.'
   Alex beobachtete die Muräne mit erneutem Interesse, wandte sich dann
aber nach der Cobra hinter ihnen um, die ein paar Kilometer näher gerückt
war.
   'Sollen wir ihn auffordern, zurückzubleiben?'
   Jason schüttelte den Kopf. Alex stellte Jetzt erst fest, daß sein Vater eben-
falls auf den Kauffahrer aufmerksam geworden war und ihn bereits seit ein
paar Minuten neugierig betrachtete. Auf der Kommandobrücke der Avalo-
nia machte sich eine ungewohnte und unangenehme Spannung bemerkbar.
   Irgend etwas war anders als sonst.
   Dann leuchtete das Signal auf, das die Einfahrt zur Startrampe freigab,
begleitet von einem sanften Tuten.
   In diesem Moment war die Lebenserwartung der Avalonia auf knapp
neun Minuten geschrumpft.
   Rund um den Einlaß zur Magischen Zone ist immer die größte Ansamm-
lung von Hyperspace-Schiffen zu finden; die meisten von ihnen sind fest-
gemacht an Orbital-Bojen, und Mechaniker und Service-Leute kriechen auf
ihnen herum, die die Außensysteme checken und reparieren. In der Nähe
eines so fortschrittlichen Planeten wie Lave kann man jede Art von Schiff
sehen, jeden Typ, jedes Modell und alle nachgebauten Versionen von
Reptilien-Schiffen, die jemals konstruiert wurden.
   Als sie sich der Rampe näherten, übte sich Alex im Identifizieren von
Schiffstypen -- eine unabdingbare Voraussetzung für jeden Weltraumbe-
ruf.
   Die unbemannten und unbewaffneten Pendler waren leicht auszu-
machen; sie verfrachteten Ladungen in alle Winkel des Systems. Er machte
zwei Nattern aus, Schiffe der Navy , klein, wendig und tödlich, gut gewapp-
net gegen Angriffe und mit einem hochentwickelten militärischen Waffen-
system ausgerüstet. Auch eine Krait sah er, einen sogennanten sternen-
kämpfer, ein kleines Einmannschiff, das von Pfadfindern und Glücksrittern
bevorzugt wurde.
Rechts befand sich die enorme zylindrische Masse einer Anaconda, ein
wuchtiger Frachter, den man für den Personenverkehr umgerüstet hatte; er
war noch festgemacht, die Passagiere gingen gerade von Bord. Es war ein
häßliches Schiff, und seine gähnende Laderampe gab ihm das Aussehen
einer kauernden, blinden Kreatur mit furchterregend aufgesperrtem Maul.
Die Liste der Raumschiffe schien endlos: Boas der Kreuzer-Klasse;
Pythons; der Favorit der Prämienjäger, die Fer-de-Lance, vollgestopft mit
Waffen und innen zweifellos ausgestattet wie ein Palast; Landungsfahr-
zeuge, Würmer genannt; Mambas; Sidewinders -große und kleine Raum-
schiffe, alle strahlend und blitzend, das Sonnenlicht in glänzendem blau-
grauem Schimmer reflektierend.
   Und natürlich gab es auch jede Menge automatischer Werbeschiffe. Ihre
zugkräftige Leuchtreklame pries JOHANNS :ECHTES DUNKLES ERDEN-
BIER MIT SCHAUM und SCHOLLS EIGENHEIMGEZÜCHTETE PILZKUR.
Oder es wurde die 'letzte wahrhaftige Mahlzeit vor der Magischen Zone'
angeboten -von kleinen Restaurant-Schiffen, die den weltraummüden
Reisenden mit Sofort-Nahrung versorgten (POTTHOFFS PERFEKTE PRO-
TOPOLYPEN, SCHMOCKS SCHMACKHAFTE SCHLEIMSCHNECKEN
und andere Köstlichkeiten).
   'Los geht's ... Halt Dich am Sitz fest!'
   Jason Ryder sagte das jedesmal, und Alex fiel immer wieder darauf her-
ein. Er straffte sich, als würde das Schiff über eine Schwerkraft-Woge stür-
zen. Tatsächlich war der Eintritt in die Magische Zone immer von einem
kaum spürbaren Beschleunigungsruck begleitet, einem momentanen
Schwindelgefühl, und dann folgte das eindrucksvolle Aufleuchten der
Sterne, das sich ausbreitete und plötzlich zu einem kreisenden Vielfarben-
muster auswuchs, so daß es schien, als durchquere das Schiff einen wirbeln-
den Tunnel. So schnell wie dieser Beschleunigungsdruck kam, so schnell
verging er auch wieder. Das Schiff trieb im 'Magischen Licht', wo Ort und
Zeit nicht existieren. Es durchquerte die Leere zwischen den Sternen in
Sekunden, aber in diesen Sekunden befand es sich in einer zwielichtigen
Welt, deren Beschaffenheit jenseits aller Vorstellung war.
   Man sagt, daß es in der magischen Zone spukt. Vielleicht nennt man sie
deshalb 'magisch'. Hier gerät der Ablauf der Zeit durcheinander, Atome
stülpen ihr Innerstes nach Außen, Schwerkraftwellen türmen sich auf, und
irgendwelche Dinge bewegen sich -Lebensformen, Schatten, Atome,
Galaxien... wer weiß? Niemand hat hier je gestoppt und ist ausgestiegen,
um das zu ergründen. Nur ferngesteuerte Robot-Stationen existieren dort,
Schalt-, Überwachungs- und Rettungsanlagen und ähnliches. Was immer da
in der Magischen Zone leben mag, im Hyper-Space-Tunnel, es wird für im-
mer ein Geheimnis bleiben.
   Aber es gibt dort tatsächlich Geister. Die Geister der ersten Schiffe, die in
den Hyperraum hineinfuhren, jedoch nicht wieder heraus.
   Geister...
   Und Schatten.
   Der Schatten einer Schlange! Eine Cobra... direkt über ihnen!
   'Was um Gottes Willen. ..?'
   Jason Ryder war bleich geworden, bleicher als weißes Licht.
   Gefangen in der Magischen Zone, konnte er nichts tun, um dem anderen
Raumschiff auszuweichen. Alex sagte: 'Er scheint die Bestimmungen nicht
zu kennen. Vielleicht ein Anfänger...!'
   'Vielleicht!' antwortete sein Vater. Jason Ryders Augen ließen die Radar-
schirme nicht los. Sein Gesicht war voller Schweißperlen. Alex beobachtete
den Schatten der Cobra...
   Sehr gut ausgestattet -- ein Brennstoff-Lader, Geschoß-Silos, Extra-
Frachträume, der flache Deckel eines Energie-Bomben-Behälters... wahr-
haftig ein prächtiges Schiff- und ein tödliches dazu!
   'Sie wollen uns doch wohl nicht angreifen!'
   'Den Teufel wollen sie!'
   Drei Minuten...
   Und dan verließen sie die Magische Zone!
   Sofort begannen Jasons Hände über die Tastatur zu fliegen. Die Avalonia
schoß vorwärts und rotierte dabei um ihre Längsachse. Der Planet Leesti
war als kleine grünliche Scheibe in der Ferne auszumachen. Alex sah, wie
sein Vater die beiden Raketen der Avalonia scharfmachte, er selbst legte
seine Hand auf den Abzug des Mehrfach-Strahlers.
   Es war also ein Pirat! Als Alex klar wurde, daß ein Kampf unvermeidlich
war, begann sein Mund auszutrocknen u. seine Gehirnzellen zu arbeiten;
mit einem Male war er hellwach. Er hatte noch nie gekämpft, jedenfalls nicht
richtig, höchstens auf dem Simulations-Trainer. Natürlich hatte ihm sein
Vater schon davon erzählt. Kampf -das klang nicht gerade vielver-
sprechend!
   Ein Piratenschiff, getarnt als Kauffahrer, das sein Opfer sogar bis hinein
in die Magische Zone verfolgte... wegen einer Ladung Trumbeeren-Würze?
Ein unangenehmer Gedanke durchzuckte Alex Kopf. Das Verhalten war
sehr untypisch für einen Freibeuter. Normalerweise warteten sie in den Au-
ßenbezirken eines Planetensystems, mit weitreichenden Radargeräten nach
ihrer Beute Ausschau haltend, sondierend und sorgfältig ihre Wahl treffend.
Piraten waren natürlich überall zu finden, seltener allerdings in der Umge-
bung von Planeten- Föderationen oder Demokratien (deren Polizei arbeitete
zu effektiv). Der bevorzugte Schlupfwinkel von Piraten waren Welten mit
anarchistischen oder feudalen Regierungen.
   An diesem Verhalten stimmte etwas nicht!
   Also doch kein Pirat!
   Alex wandte seinen Blick von dem langsam rotierenden Planeten den
grimmigen, grauen Gesichtszügen seines Vaters zu. Ganz offensichtlich war
ihre Situation alles andere als sicher. 'Was zum Teufel steht uns denn da
wieder bevor?'
   'Leg' einen WFO an und geh' zur Rettungskapsel, murmelte Jason, 'los,
mach schon!'
   'Ich werde bleiben und kämpfen!'
   'Den Teufel wirst Du! Du wirst das tun, was ich sage!' Während er sprach,
schob er seinem Sohn eine kleine, schwarze Gesichtsmaske, das WFO
(WeItraum-Fernortungs-System), hinüber.
   Die ersten Raketen trafen den Abwehr-Schirm der Avalonia und Jason
hieb auf die Feuerknöpfe der eigenen Verteidigungswaffen... Das kleine
Schiff schwankte, es krachte in allen Fugen, als er einen Haken schlug, um
zu flüchten; er aktivierte das *RAS, als [1] die Cobra eine zweite Salve von
Geschossen abfeuerte.
   Im hinteren Bildschirm explodierte ein Lichtblitz.
   Aber durch die gleißende Helligkeit sah man den düster-grauen Schatten
des Killers näherkommen.
   Dann ging alles so schnell, daß Alex später nicht genau wußte, was wirk-
lich passiert war. Die beiden kämpfenden Schife trudelten und kreisten in
Richtung auf den Planeten. Um sie herum wurde der Weltraum lautlos
erhellt, wenn die Raketen auf die Energieschirme trafen und abgelenkt wur-
den.
   Dann schien das gesamte Universum zu beben. Luft drang kreischend ins
Vakuum. Die Lichter in der Avalonia flackerten und verloschen. Auf der
Konsole blinkten Warnlichter auf: Strahler-Temperatur im roten Bereich,
Schutz-Schirme wirkungslos, Energie schwach, Fracht über Bord, Tempe-
ratur in der Kommando-Zentrale absinkend...
   Im gleichen Augenblick, als die Avalonia zerstört wurde, merkte Alex Ry-
der, wie sein Vater ihn stieß und ihm die Fernorter-Maske über Augen,
Nase und Mund drückte. Dann wurde sein Körper mit Gewalt in die
Rettungs-Kapsel gepreßt.
   Das Schiff zitterte und kreischte. Brennstoff floß in den Weltraum.
   Vater und Sohn sahen einander ein letztes Mal durch einen Nebel von
Tränen und Verwirrung an.
   'Ich verstehe gar nicht...' schrie Alex, den Lärm des sterbenden Schiffes
übertönend, und er meinte 'Wer versucht uns da zu töten?'
   'Raxxla!' sagte Jason. 'Merke Dir: Raxxla!' Dann, als er Alex in die enge
Notkapsel zurückstieß, rief er: 'Denk' an mich, Alex! Ich hätte Dir das gern
erspart. Raxxla!'
   Die Rettungskapsel wurde abgestoßen. Alex stürzte. Die glatten Wände
der Avalonia waren über ihm, dann nur noch grelles Licht. Gleißende Hitze.
   Kalter Weltraum!
   In einer Sekunde war alles verloren, das Schiff, sein Vater, ein Teil seines
Lebens - ausgelöscht durch einen einzigen Feuerstoß des Piratenschiffes.
   Und als Alex genauer hinsah, bemerkte er eine gelbe Feuerzunge, die
nach der stürzenden Rettungskapselleckte. Er fühlte Hitze, dann Schmer-
zen, dann Kälte...
   Die winzige Überlebenszelle wurde beiseitegeschmettert, glitzernde
Bruckstücke fielen auf die grüne Welt von Leesti zu.
   Alex schleuderte in den Weltraum, seine Arme ruderten wie Dreschflegel,
sein Mund stand weit offen, er war bewußtlos und Sekunde für Sekunde
entrann ihm ein Stückchen Leben...

1 RAS = Raketen-Abwehr-System.

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